Jürg Keller, Fassung 5. Juli 2020
Als offener Brief an Regierungsrat Stephan Attiger mit Absender PRO BÖZBERG entworfen
In tiefer Sorge um unseren Wald – seine Funktionen und seine Schönheit – wenden wir uns an die Kantonsregierung und die Stimmberechtigten des Aargaus mit folgenden Hinweisen:
Unsere Wälder leiden nicht nur an Trockenheit, Stürmen und Borkenkäfern, sondern vor allem durch die groben Eingriffe der Forstwirtschaft.
Das Ökosystem Wald kann seinen Nutzen beim Klimawandel nur als geschlossene Baumformation wahrnehmen. Das Klimagas Kohlendioxid wird nur in grösseren Stämmen gespeichert, also erst im mittleren Alter eines Baumlebens.
Trotz dieser allgemein bekannten Sachlage schlägt die moderne Forstwirtschaft grossflächige Löcher in die Wälder, die dem Wald-Ökosystem mehrfach schaden und seine Bedeutung für die Landschaftsästhetik schädigen.
Der naturnahe Wald dient dem Menschen eigentlich hilfreich zu. Mit ihren Maschineneingriffen macht die Forstwirtschaft aber aus dem Helfer einen Pflegefall. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Verjüngung: Statt dass man diese dem Wald überlässt, werden die nackten Flächen teurer und plantagenartig aufgeforstet.
Die Forstwirtschaft ist auf dem Weg, das verunglückte Experiment mit unserer Landwirtschaft zu wiederholen. Eine Subvention gebärt eine neue und diese führen noch tiefer in die Sackgasse des heutigen Waldbaus. Die neuen Erntemaschinen im Wald funktionieren wie die Mähdrescher im offenen Land. Und bereits folgt die Forstwirtschaft dem Geschäftsmodell der Landwirtschaft: Grössere Flächen und grössere Maschinen treiben die gleiche Subventions-Spirale an. Die Maschine diktiert die «Waldpflege», wodurch der Wald aber zum langweiligen und aufgerissenen Forst wird.
Der Wald ist in der Regel im Eigentum der Ortsbürgergemeinden. Eigentum sollte eigentlich verpflichten, aber Wald-Eigentümer dürfen diese Verantwortung auslagern: Forstbetriebe übernehmen nicht die ganze Verantwortung, sondern versprechen lediglich schwarze Zahlen. Wie sie zu diesen kommen, steht weitgehend in ihrer Kompetenz.
Der Kanton ist gesetzlich (Aarg. und Eidg. Waldgesetze) verpflichtet, die Naturnähe des Waldbaus durchzusetzen. Von dieser Aufgabe hat er sich aber weitgehend gelöst: Aus dem Kontroller ist ein Komplize geworden. So gedenkt er dem unsinnigen Überangebot an Holz «Markthilfen» anzubieten – natürlich mit Steuergeld. Damit wird der Holzpreis weiter gesenkt, was weitere Markthilfen nach sich ziehen wird.
Es gibt im Kanton und in der übrigen Schweiz durchaus Beispiele, bei denen der geschlossene Wald permanent gehalten wird – und die auch schwarze Zahlen liefern. Diese Beispiele haben eine Eigenschaft gemeinsam: Sie werden grundsätzlich nicht nachgeahmt. Das ist ein sicheres Zeichen für eine Denkblockade bei den Forstverantwortlichen: Diese haben sich auf ihren aktuellen Tunnelblick geeinigt. Selbst das berühmte Gegenbeispiel Basadingen wird nur als Störung in der herrschenden Mode wahrgenommen. Man verzichtet im Wald auf bestehendes Wissen: Das «Lernen vom Urwald»
(H. Leibundgut, ETH) ist vergessen oder verdrängt worden.
Man muss deshalb der aargauischen Bevölkerung jetzt schon raten: Wer den Wald für sich und die Folgegenerationen noch retten will, verweigere bei der Abstimmung zum «Verpflichtungskredit Bewältigung der Waldschäden etc.» seine Zustimmung. Nach der Ausräumung der offenen Landschaft sollten wir uns den Wald nicht auch noch mit Steuergeld verunstalten lassen.
Jürg Keller, 5. Juli 2020