Nukleare Tiefenlager: Pro Bözberg nimmt Stellung

Medienorientierung der Nagra am 3. November 2020 über laufende Bohrungen:  
Pro Bözberg kritisiert voreilige  Folgerungen und verfrühte Standortwahl

Die Gebiete Bözberg (Jura Ost), Nördlich Lägern sowie Zürcher Weinland (Zürich Nord-Ost) sind seit zwei Jahrzehnten alternativlos die einzigen drei Standort-Optionen, falls ein nukleares Endlager im Inland realisiert werden sollte. In diesen drei Gebieten führt die Nagra seit 2019 einmal mehr Sondierbohrungen durch. Darüber berichtete sie am 3. November 2020 im Rahmen eines online durchgeführten Anlasses für die angemeldeten Medienschaffenden.
https://www.nagra.ch/de/news/medienmitteilungdetail/in-allen-drei-gebieten-koennten-wir-ein-sicheres-tiefenlager-bauen.htm

Vorgezogene Schlussfolgerungen auf ungenügender Faktenbasis

Obschon die Bohrkampagne erst seit wenigen Monaten läuft und noch mindestens zwei weitere Bohrungen vorgesehen sind, zieht die Nagra bereits abschliessend positive Folgerungen, ohne wirklich offenzulegen, auf welchen Fakten diese beruhen.
Pro Bözberg erachtet diesen Befund in seiner Voreiligkeit als wissenschaftlich fragwürdig. Denn die präsentierten Resultate beschränken sich auf die Eigenschaften des angeblich geeigneten Lagergesteins (Opalinuston). Doch dies allein genügt für die Beurteilung der Langzeitsicherheit eines Standorts bei weitem nicht! Denn es gilt, zusätzliche, absolut sicherheitskritische Faktoren zu bewerten: u.a. tektonische Beanspruchung, Oberflächen- und Tiefengrundwasser, geochemische Verhältnisse, seismische Risiken. Besonders  heikel sind Erosionsfragen: Selbst ein ideales Wirtsgestein ist absolut wertlos, wenn es ein künftiger Eiszeit-Gletscher in geologisch kürzester Zeit samt Lagerinhalt weggeschürft.

Aus dem Blickwinkel einer nüchternen Bewertung aller sicherheitskritischen Faktoren bleiben an den drei Standortgebieten weiterhin fundamentale Fragen offen. Diese Überzeugung vertritt  der Vorstand von Pro Bözberg namentlich aufgrund von Erkenntnissen während seiner Studienreisen nach Frankreich (https://proboezberg.ch/atommu%cc%88ll-endlager-studienreise-nach-frankreich-bringt-neue-erkenntnisse/) sowie im Felslabor Mont Terri (Kt. JU): Vor Ort konnte er sich von Sachverständigen unabhängig informieren lassen. Gestützt auf diese Erfahrungen hält Pro Bözberg fest: Die bohrtechnischen Untersuchungen der Nagra und die Feststellung, dass geeignetes Gestein zur Verfügung steht ist lediglich ein Puzzleteil in der Sicherheits-Gesamtbeurteilung. Erst auf der Basis einer umfassenden Gesamtsynthese des aktualisierten Kenntnisstands und der Bewertung der noch offenen sicherheitskritischen Fragen einschliesslich des Einlagerungskonzepts, wird ein wissenschaftlich konsistenter Vergleich der Langzeitsicherheit in allen drei Standortgebieten belastbar Bestand haben können.

Standortentscheid 2022

Ungeachtet all dieser fundamentalen Vorbehalte bekräftigte die Nagra auch an dieser Medienorientierung, bereits 2022 den Standort für die Ausarbeitung des Rahmenbewilligungsgesuchs bekanntgeben zu wollen. Dies wäre allerdings die Vorwegnahme der Standortwahl, mithin ein Entscheid von ungeahnter Tragweite! Wer aber davon ausgeht, die Nagra würde diesen voreiligen Standortentscheid zumindest mit einer sachlich konsolidierten Begründung vorlegen, unterliegt einem Irrtum. Denn Pro Bözberg hatte dazu die konkrete Frage dem Technischen Forum Sicherheit gestellt (https://www.ensi.ch/de/technisches-forum/vorzeitige-standortfestlegung-in-etappe-3/). In der publizierten Antwort der Nagra wird lediglich ein „kurzer Bericht“ in Aussicht gestellt, denn die Begründung werde zgZ. in den Gesuchen zur Rahmenbewilligung dokumentiert. Also erst in vielen Jahren! Ein irritierendes Vorgehen; es verstärkt den unguten Eindruck, der Standortentscheid werde vorzeitig, irreversibel und trotz noch lückenhafter Sachgrundlage  am Publikum vorbei zur vollendeten Tatsache in Stein gemeisselt.

Dies stünde im eklatanten Widerspruch zu den Beteuerungen der Nagra, wonach sie der Sicherheit stets erste Priorität einräume. Genau diese Prämisse dominiert auch die Verlautbarungen der zuständigen Bundes- und Kantonsbehörden. Ebenso kompromisslos unterstreicht der Verein Pro Bözberg diese Forderung und beobachtet mit weiterhin geschärfter Aufmerksamkeit die Entwicklung. Der Vorstand wird sich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ggf. bei den zuständigen Behörden Gehör zu verschaffen wissen.

Der Vorstand

Bözberg, 23. November 2020