Vom Wesen des Waldes

Auslichtungsarbeiten südlich des Quartiers Alte Saline (Rheinfelden)

 

Leserbrief an die Lokalpresse fricktal.info (6. Oktober 2023) und Neue Fricktaler Zeitung (13. Oktober 2023)

 

Dass der Wald rund um die Alte Saline nie zur Ruhe kommt, ist störende Erfahrung. Jetzt wurden die bekannten violetten Zeichen in unmittelbarer Wohnnähe angebracht – viele oder sehr viele – Bäume sind für die Kettensäge vorgesehen. Wer sich vor seinem innern Auge vorstellt, was nach dieser Fällaktion übrigbleibt, ahnt, dass hier der Wald in seinem Wesen ge- und zerstört wird.

Um klar zu werden: Es geht hier nicht um die mangelnde Einsicht der Anwohner in die Notwendigkeit von Auslichtungsarbeiten, es geht um das Ausmass oder besser: um die Masslosigkeit dieses Vorhabens.

Der Wald ist ein Ökosystem, also ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Dazu gehören  beispielsweise ein eigenes Waldklima, eine tiefere Temperatur als in der waldfreien Umgebung herrscht, im Boden ein Pilzfaden-Internet, mit dem viele Bäume untereinander verbunden sind und mit dem Stoffe in allen Richtungen ausgetauscht werden.

Nur schon diese 3 Faktoren werden durch die geplanten Arbeiten beschädigt oder auch ganz zerstört.

Waldbau heisst im Wesentlichen „imiter la nature“. Die Methoden des Forstes kümmern sich aber immer weniger um die Natur des Waldes , diese weicht dem Maschineneinsatz, mit dem zwar die Holzernte etwas verbilligt  wird, die aber zu empfindlichen Langzeitschäden führt. Das erwähnte Pilz-Netzwerk im Boden wird  durch die Erntemaschinen zerstört, es liegt nur etwa 30cm tief im Boden. Es ist aber für die Fruchtbarkeit des Waldbodens verantwortlich, und braucht nach seiner Zerstörung mehrere Jahrzehnte zur Regeneration.

Der Waldbau in Rheinfelden (und damit im ganzen Fricktal – Ausnahme: Sulz) leidet unter einem signifikanten Mangel an Sensibilität der Forstwirtschaft, der Waldeigentümer und der Kontrollorgane. Dabei meint Sensibilität nicht „Sentimentalität“, sondern z.B. Wissenschaftlichkeit.

Das erwähnte Pilznetzwerk ist kürzlich in einem wunderbaren Buch  („Entangled Life“)  dargestellt worden, dort wird u.a. eine Douglasie erwähnt, die mit 250 Bäumen über Pilzfäden verbunden ist. In den Wäldern Bosniens  sagte mir  schon vor ein paar Jahrzehnten ein Förster, sein  Beruf  verlange eine „weibliche“ Hand: er meinte natürlich, eine „sensible“ (dieser Förster war  an der ETH-Zürich ausgebildet worden!). Es ist, als würde im Fricktal altes und neues Fachwissen zugunsten der modischen Waldmaschinenkultur vergessen und verdrängt.

Dabei gäbe es aktuelle Beispiele, wie man es richtiger machen könnte, nicht nur in Sulz oder Basadingen (TG), sondern auch in der Mitte unseres Kantons: Südlich von Aarau konnte ich kürzlich ein Waldrevier besichtigen, in dem naturnah gewirtschaftet wird:

Keine Löcher im Wald (also Waldklima, keine Randeffekte), Naturverjüngung (keine Pastikröhrenfelder), Einzelbaumernte (also keine Flächenhiebe, damit keine Neophyten), kein schweres Gerät auf Waldboden (Seilwinde oder Pferdeeinsatz), kleinräumig viele Baumarten – und dieses System  funktioniert! Es gibt schwarze Zahlen in der Waldrechnung, es gibt Beifall von der Bevölkerung, die Eigentümer motzen nicht – warum um Himmels Willen ist der Fricktaler Forst so lernresistent und unsensibel? Vielleicht sollte Rheinfelden seinen nächsten Waldumgang im erwähnten Wald bei Aarau  durchführen, um einmal eine bessere Waldwirtschaft  kennen zu lernen – eine die sich wirklich Mühe gibt, die Natur nachzuahmen.

Diese Zeilen sind dem Kind gewidmet, das vergeblich  mit Wasser und Seife die violetten Baummarkierungen entfernen wollte.

Jürg Keller, Rheinfelden (Mitglied von Pro Bözberg)